Merz hört mit – Vorverurteilung für den Generalverdacht

Gießen/ Fulda. Vor vielen vielen Jahren, in den guten alten Zeiten der guten alten Bundesrepublik, als Kohl noch Kanzler, ein Mann noch ein Mann und vor allem ein General noch ein General war, da begab es sich, dass sich gegen einen solchen General-Mann ein Verdacht erhob, er – der General – sei zwar ein Mann, aber eben doch kein richtiger Mannskerl, weil anderen Männern viel zu zugeneigt und daher des Generalseins nicht mehr würdig. Daraus entstand in Windeseile ein sogenannter General-Verdacht, dem sich schon bald die Vorverurteilung beigesellte. Da konnten Reaktionen nicht ausbleiben und schon bald erhob die Unschuldsvermutung mahnend den Zeigefinger. Sie, die Unschuldsvermutung nämlich, obsiegte und der betroffene General durfte nach einem Handschlag mit seinem Oberbefehlshaber und vormaligen Oberverdachtschöpfer seines männlich-kriegerischen Amtes weiter walten, allerdings nur kurz, da ihn alsbald zwar nicht die Vorverurteilung, wohl aber die Vorverpensionierung ereilte.

Seit diesen bescheidenen Anfängen hat der Generalverdacht eine Karriere gemacht, von der sich weder der General Kießling noch der Minister Wörner, die beiden Handschläger von damals, hätten träumen lassen. Der Generalverdacht hat längst sein angestammtes Dasein als Verdacht gegen den General/gegen Generäle hinter sich gelassen. Wie seine entfernte Verwandte, die Fama, braust er einher und verwüstet Land und Leute, nichts und niemand ist vor ihm sicher, mag auch die Unschuldsvermutung nach wie vor wacker den mageren Zeigefinger heben. „Der Generalverdacht ist salonfähig“, fasste etwa Pingback am 7. Januar 2014 auf upgrademeblog.com zutreffend zusammen und setzte noch einen oben drauf: „Der pauschale Generalverdacht schlägt weiter um sich.“ Nun wüsste man zwar gerne, was ein unpauschaler Generalverdacht wäre, dennoch zeigt die vertiefte Analyse: der Mann hat recht.

„Stehen Ausländer oder die Bevölkerung unter Generalverdacht?“ fragt z.B. die BILD-Zeitung (7. Januar 2016), das Fachblatt für Generalverdächte, und man denkt: Wenn die’s nicht wissen, wer soll sich denn da noch auskennen. Der Innenminister warnt vor Generalverdacht gegen Flüchtlinge, aber auch junge Migranten, Muslime sollen, so eine vielstimmige Warner- und Mahnerschar, unter keinen Umständen unter, naja sie wissen schon, gestellt werden. In die Schar der Warner reiht sich auch die Piratenfraktion im schleswig-holsteinischen Landtag ein: „Ein Generalverdacht gegenüber Ausländern ist ebenso unangebracht wie ein Generalverdacht gegenüber Schleswig-Holsteinern.“ (Pressemitteilung vom 21.Januar 2016) Und was natürlich gar nicht geht, weiß die CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag: „Minister Hermann stellt Autofahrer unter Generalverdacht“ (Pressemitteilung, 7. Januar 2016) Gegen einen „Generalverdacht gegen Niedersachsens Polizei“ glaubte sich der dortige Bund deutscher Kriminalbeamter wehren zu müssen, nachdem SPD und Grüne im Landtag einen Antrag eingereicht hatten, in dem dem Verdacht Nahrung gegeben wurde, es könne im Umgang der niedersächsischen Polizei mit Migranten allzu häufig besagter Generalverdacht eine Rolle spielen (Pressemitteilung 12. Januar 2016). Ausgleichende Gerechtigkeit vielleicht, dass von anderer Seite der Generalverdacht gegen die selbe Polizei geäußert wurde, sie lasse es genau daran nämlich am Verdacht gegen Migranten – mangeln.

Insgesamt nehmen trotz aller Warnungen die Verdächte geradezu explosionsartig zu: Vor „Generalverdacht gegen Männer in Kitas“ warnt die einschlägige „Koordinationsstelle Männer in Kitas“ und welcher rechte Mann würde sich dieser Warnung nicht aus volle Herzen anschließen. Wahrscheinlich aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit warnt das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik (in: Max-Planck-Forschung 3/2014) vor „Frauen unter Generalverdacht“, wobei aus der Überschrift allerdings nicht recht ersichtlich ist, ob her vor dem Generalverdacht oder vor den unter diesem stehenden Frauen gewarnt wird. Unbedingt recht zugeben ist aber den wackeren Männern und Frauen von der Neue Assekuranz Gewerkschaft mit ihrer Versicherung, „Debeka-Beschäftigte dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden!“ (Pressemitteilung 20. November 2013) Dass der „Generalverdacht gegen Evaluation“ schon von jeher „auf tönernen Füßen“ stand, das war Eingeweihten schon längst klar, wird aber nunmehr durch eine Mitteilung der Fachhochschule Nordwestschweiz erfreulicherweise noch einmal klargestellt.

Schon immer generalverdächtig, vor allem natürlich bei Generälen, war und ist hierzulande ja der Russe, weshalb mancherlei Anlass besteht, trotz des Dopingskandals in der russischen Leichtathletik davor zu warnen, Russlands Skijäger unter einen Generalverdacht zu stellen (ntv, 26. November 2015). Im Ausgleich sollte der Russe vielleicht auch darauf verzichten, gleich alle Deutschen unter Generalverdacht zu stellen, wenn ein russischstämmiges Mädchen für einen Tag verschwindet. Gewiss wohltuend aber, dass ausgerechnet die ansonsten generalverdächtige Pro-Köln-Bewegung nach den diesbezüglichen Demonstrationen vor „Generalverdacht gegen Migranten aus Russland“ warnen zu müssen glaubte (Köln aktuell, 25. Januar 2015).

Wo Russland ist, ist China nicht weit. „Luxus gerät in China unter Generalverdacht“, meldet das Luxus-Fachjournal Handelsblatt am 15. Oktober 2015. Mysteriös bleibt der Sinn der Warnung „Mystery Shopping – Generalverdacht durch Politik“ (Präsidentenbrief der Ärztekammer für Oberösterreich, Juli 2015). Offenkundig angezeigt war und ist dagegen die Verteidigung des Sports schlechthin gegen Generalverdächte durch IOC-Präsident Thomas Bach, der ja zweifellos über jeden Verdacht erhaben ist. (Westdeutsche Zeitung, 27. Dezember 2015) Schwer verdächtig sind auch weite Kreise der Wirtschaft. „Entgeltgleichheitsgesetz: Arbeitgeber unter Generalverdacht“ klagt impulse-Bloggerin Marie-Christine Ostermann (www.impulse.de, 14. Dezember 2015) und der Bundesverband der Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH)sieht durch den Mindestlohn „Betriebe unter Generalverdacht“ gestellt (handwerksblatt.de, o.A.). Verständlich auch die Forderung des Niedersächsischen Industrie- und Handelskammertages „Fracking nicht unter Generalverdacht (zu) stellen“ (Medieninformation, 14. Mai 2014). Überhaupt scheint Niedersachsen ein ideales Umfeld für den Generalverdacht zu sein, sieht doch der niedersächsische Landesvorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. Karsten Neumann dort (und insonderheit im Landkreis Diepholz) auch die „Pflege unter Generalverdacht“ (Presseportal des Verbandes 9. November 2015).

Was aber ist all das gegen den Weckruf „Die Wahrheit unter Generalverdacht“? (www.fischundfleisch.com, 6. Januar 2016). Denn für die Wahrheit galt und gilt immer und immer wieder und immer noch: die Unschuldsvermutung! +++ fuldainfo | gerhard merz