Fulda/ Gießen. Früher, in den guten alten analogen Zeiten war es so, dass der Mensch, wenn er sein ebenso angeborenes wie in der Regel zu nichts Vernünftigem führendes Mitteilungsbedürfnis nicht mehr unterdrücken konnte, zunächst Höhlenwände bemalte, um die Dickhäuter seines Zeitalters dem Gespött der Nachwelt auszuliefern. Danach entdeckte er den zivilen Zweitnutzen, unter Fachleuten gerne auch „dual use“ genannt, des Faustkeils und ritzte onstone-Bestellungen an den Mammutsteak-Lieferservice an die dafür vorgesehenen Stellen.
Noch etwas später – vermutlich in der Bronzezeit – hatte er, der alte Homo Faber, den Meißel erfunden und es begann die große Zeit der in Stein gemeißelten Botschaften, vorzugsweise auf den seit Erfindung des Faustkeils und der Entdeckung seines militärischen Erst- und Hauptverwendungszwecks in großer Zahl anfallenden Grabdenkmälern, mit deren Entzifferung sich die Stein-und-Meißel-Experten der Historiographie bis zum heutigen Tag abmühen. In eben jener Bronzezeit begann aber auch die Ära des Gusses, deren Glorie noch heute in der Redensart von dem „aus einem Guss“ fortlebt, eine Redensart, die heutzutage wie in Stein gemeißelt auf bzw. in jedem Positionspapier auftaucht.
Hatte Moses noch in Stein gemeißelte – nach wörtlicher Exegese des Grundlagentextes: „gebrannte“ – Gesetzeswerke vom Berg Sinai mitgebracht, so wurden diese nunmehr in Bronze gegossen. Politikentwürfe „aus einem Guss“ waren das, die heute so schmerzlich vermisst werden und sich schon damals positiv vom doch arg eklektischen Gott-Moses-Codex abhoben. Allerdings ließ das in 12 bronzene Tafeln gegossene Gesetzeswerk gegenüber dem mit zwei Tafeln auskommenden Gott-Moses-Codex bereits die in späteren Jahrhunderten und Millenien auf viel Papier beklagte Regelungswut erkennen.
Genau wegen dieser Regelungswut, aber auch wegen der wachsenden Neigung, die vielen unerklärlichen Phänomene des menschlichen Daseins in immer mehr Papieren zu analysieren, trat der homo communicativus schließlich in das papierene Zeitalter ein, das seinen Namen nicht nur von dem Material erhielt, auf das geschrieben wurde, sondern auch von den vielen „Papieren“ die auf das Papier geschrieben wurde, das wiederum – aber das nur am Rande – seinen Namen von jenem Papyrus erhielt, auf dem seither die Papyrrhussiege der Menschheit der Nachwelt überliefert werden.
Nebenher wurde aber immer noch viel in Stein gemeißelt. In einem Buch von 1840 heißt es über die Gesetzgebung des Freiherrs vom Stein (Ha!): “In der Gesetzgebung Steins ist nicht ein falscher Zug; stark und unzweideutig treten die Züge wie in Stein (und, möchte man hinzufügen: von vom Stein! GM) gemeißelt hervor, und unzerstörbar für alle Ewigkeit, so sehr auch eine spätere Zeit daran herumpfuscht und den Charakter zu verwischen sucht.” Da aber der unter Juristen einzig wirklich in Stein gemeißelte Satz „Kommt drauf an!“ lautet, gibt es – wie so oft – auch hier andere Meinungen: “Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt und haben sich in der Praxis zu bewähren”.
Seither ist das Papier – und mit ihm das Gesetz – nicht in den Stein gemeißelt, auf den es gedruckt ist. Es wird auch nicht mehr in Stein und Meißel gegossen. Der Stein ist nämlich das Papier nicht wert, auf das er gemeißelt ist. Nichts ist so auf Papier gemeißelt wie bedrucktes Papier, in das ein Stein gewickelt ist. Oder wie bedruckte Bronze, in die ein gemeißelter Stein gegossen wurde!
Oder so: „Der Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik.“ (K. Müller, MdL-Bündnis 90/Die Grünen, Landtagsplenum 13. Dezember 2017) Oder vielleicht auch so: „Im Moment ist das ein Papier, das noch nicht in Gesetz gegossen ist.“ (P. Stephan, MdL-CDU, Landtagsplenum-Plenum, 5.Februar 2014) Das ist natürlich gut, denn: „Der Vorschlag war, die Anhörung vor dem in Blei gießen von Buchstaben zu machen.“ (M. Schott, MdL-Die Linke, SIA, 18. Januar 2018) Aber es hört ja keiner: „Stattdessen haben wir einen schwarz-grünen Gesetzentwurf auf dem Tisch, den ich schon einmal als den in Papierform gegossenen Angriff auf den Schulfrieden bezeichnet habe.“ (W. Greilich, MdL-FDP, Landtagsplenum-Plenum, 3. April 2014)
Wenn dann noch ständig neue Säue durch den Landtag getrieben werden, ist das schon hart. Aber wenn’s ganz blöd kommt, passiert dies: „Das wirklich Schlimme ist, dass diese Säue auch noch in Gesetze gegossen werden.“ (J. Wissler, Fraktionsvorsitzende-Die Linke, Landtagsplenum-Plenum, 4. Februar 2016) Wenn jetzt die Säue, die ehedem durch’s Dorf getrieben wurden, um alsdann in Gesetze gegossen zu werden, jetzt noch in Stein gemeißelt werden, wird es Zeit, ein Papier zu schreiben! Aber noch ist nicht aller Tage Abend, „..weil man das nicht so in Stein und Meißel gießen darf“ (H. Hofmann, MdL-SPD, LTF, 21. November 2017) +++